Das wichtigste Ereignis im Leben der Inder: die Hochzeit

Die Familie bestimmt das Leben jedes einzelnen Inders. Ein Vorzug ist der familiäre Zusammenhalt, doch es gibt auch Schattenseiten wie den enormen sozialen Druck…

Mitgift und eheliche Rollenverteilung – Frauen als Belastung?

Im Allgemeinen ist klar, dass Mädchen für Ihre Familien eine finanzielle Belastung darstellen, während Söhne der Familie nutzen. Ein indisches Sprichwort besagt sinngemäß „Ein Mädchen großzuziehen in etwa so, als würde man die Pflanzen im Garten der Nachbarn gießen“. Entsprechend dieses Credos werden Mädchen in ärmeren Familien Teils in Heime abgeschoben oder trotz Verbots die weiblichen Embryos abgetrieben. Denn „Dowry“, die Mitgift für die Hochzeit, ist teuer, viele müssen sich dafür verschulden. Sie umfasst traditionelle Güter wie Stoffe, Saris oder Schmuck als auch Geld. Das früher hoch geschätzte Geschenk, die Kuh, wird heute durch moderne Technik wie Fernsehern oder Autos ersetzt. Die Ehe wird zu einem gigantischen Markt, dessen Preise sich nach Aussehen, Erziehung, Hautfarben und den Zukunftsaussichten der Männer richten. Für einen Brautvater sind große Geschenke Ehrensache.  Kurz: wer seine Tochter am Heiratsmarkt loswerden will, der zahlt – wer seinen Sohn verheiratet, der kassiert.

Hinzu kommt, dass Frauen nach der Heirat im Haushalt des Mannes leben und ihrer eigenen Familie als Arbeitskraft verloren gehen. Unglaublich, aber wahr: es kommt immer noch – und leider viel zu oft – zu arrangierten Kinderehen, um das „Geschäft“ möglichst schnell abzuschließen.

Die Bevorzugung von Burschen führt dazu, dass es deutlich weniger Frauen in Indien gibt, als Männer. Es wird davon ausgegangen, dass der Kauf von Frauen und Vergewaltigungen eine direkte Folge dieser Bevölkerungsstruktur sind. Traditionell ist der Mann innerhalb der Familie das Oberhaupt und trifft somit alle wichtigen Entscheidungen. Im Haushalt wird der Mann oftmals von der Frau bedient.

Dennoch zeigt sich Indien auch im Hinblick auf die Rolle der Frau als Land der Gegensätze. Denn bereits im Jahr 1966 wurde Indira Gandhi Premierministerin Indiens – zu einer Zeit, als in Europa die Frauen gerade für Emanzipation kämpften.

Arrangierte Verheiratung in Indien

Was in vielen westlichen Ländern als unvorstellbar gilt, ist in Indien alltägliche Realität: bis zu 80-90 % der Ehen werden von den Familien arrangiert.

Die Betroffenen finden sich damit ab. Jedoch legen modernere Familien darauf Wert, dass ihre Kinder den vorgeschlagenen Ehepartner auch von sich aus annehmen. Es kommt sogar vor, dass sich potentielle Brautleute wünschen, dass ihre Eltern den Partner aussuchen, da die Familien einen besonders hohen Stellenwert im Leben des Individuums einnimmt, das sich dem Willen der Gemeinschaft unterordnet. Laut einer Umfrage aus 2013 sollen mehr als 70 % der jungen Inder die arrangierte Ehe der Liebesheirat vorziehen.

Dennoch lastet auf ihnen spätestens ab einem Alter von 28 Jahren bzw. wenn ein Mann sein eigenes Geld verdient ein großer sozialer Druck zur Verehelichung. Sozial schwächer gestellte Familien verheiraten ihre Kinder auch Teils ohne deren Zustimmung, da kulturelle und soziale Faktoren wie die Kaste oder familiäre Vermögenswerte den jeweiligen Anforderungen entsprechen müssen, um soziale Unstimmigkeiten zu vermeiden. Für Liebesheiraten alla Bollywood ist auf Grund der Tradition wenig Spielraum.

Das Geschäft mit der Braut aus dem Katalog

Eltern oder enge Verwandte suchen nach geeigneten HeiratskandidatInnen – im Freundeskreis, in der Verwandtschaft und oft über Heiratsbörsen oder Heiratsvermittler. Die Bewerber werden unter die Lupe genommen und es müssen Übereinstimmungen vorliegen bei Religion, Kaste, Horoskop, Hautfarbe, Sprache, Bildung, Beruf, Einkommen, Erscheinungsbild und Essensvorlieben. Beim Horoskop wird besonders darauf geachtet, ob einer der Partner ein „Mangalik“, also negativ durch Mars beeinflusst ist. Die Gemeinsamkeiten sollen die Basis für eine gute Beziehung legen. Doch auch die Familien der Heiratskandidaten prüfen sich gegenseitig auf Kompatibilität.

Ist das potentielle Brautpaar auf Grund der oben genannten Faktoren ausgemacht, kommt es zuerst zu einem Austausch von Fotos und Informationen zu astrologischen Fragen oder dem Lebenslauf. Diese werden dann im Kreise der Familie und Freunde evaluiert. Oftmals lernen sich Braut und Bräutigam erst bei der Hochzeit kennen. In liberaleren Familien können sie sich vorher über Skype und Social Media vorher zumindest kennenlernen oder es erfolgt ein Treffen mit den Familien.

In diesem Fall lädt die Familie der Frau jene des Mannes ein. Beim ersten Zusammentreffen ist die potentielle Braut noch nicht dabei. Sie hat ihren dramatischen Auftritt in ihren feinsten Gewändern später und bedient dann die Familie mit Getränken. Am Rande dieses ersten Familienzusammentreffens können die beiden Heiratskandidaten eventuell sogar kurz in einem separaten Raum miteinander sprechen. Nach diesem Treffen besteht keine Verpflichtung, sich festzulegen und es können im gleichen Zeitraum noch andere BewerberInnen getroffen werden. Wenn sich eine Partnerschaft konkretisiert, holen beide Familien für gewöhnlich noch auf Umwegen Informationen über die jeweils andere Familie ein wie z.B. über das Familiennetzwerk oder darauf spezialisierte Detektivbüros.

Hochzeiten sind für alle beteiligten ein Geschäft, an dem neben der Familie des Mannes auch Heiratsvermittler, Detektive, Horoskopersteller, Hochzeitsplanungsbüros u.v.m. profitieren.

Heiratsanzeigen in Indien
Heiratsanzeigen in Indien

Die Verlobungszeremonie

Sobald die Familien über eine Eheschließung übereingekommen sind, wird eine Verlobungsfeier ausgerichtet. In Städten wird es den zukünftigen Ehepartnern oftmals erlaubt, in der Zeit zwischen Verlobung und Eheschließung miteinander auszugehen, um sich besser kennen zu lernen. In ländlichen Gebieten ist dies weiterhin nicht üblich.

Im Zuge der Zeremonie werden unter Anleitung eines Geistlichen verschiedene als heilig geltende Gaben ausgetauscht. Die Braut erhält großzügige Geschenke und der Ehevertrag wird im Zuge der Feierlichkeiten bestätigt. Die Brautleute wirken teils emotionslos und zurückhaltend, da dies in Gegenwart älterer Personen als höflich gilt.

Die bunte medial inszenierte Hochzeit

Hochzeiten in Indien sind bunt, schrill, groß und werden medial aufwendig in Szene gesetzt. Meistens finden die Feierlichkeiten in großen Hallen auf einer Bühne statt und werden von einem professionellen Filmteam a la Bollywood begleitet.

Offiziell sieht der Hindu Marriage Act kein bestimmtes Ritual für eine hinduistische Trauung vor, er setzt jedoch voraus, dass wenn ein Ritual zur Anwendung kommt, dieses in der jeweiligen Kaste anerkannt ist. Die Heirat ist bei einer rituellen Zeremonie rechtskräftig, wenn bei Anwendung der Saptapadi, dem 7-maligen Umkreisen des Feuers, dieses vollzogen ist. Der günstigste Zeitpunkt für die Abhaltung einer Hochzeit wird durch das Horoskop des Brautpaars bestimmt. Geladen sind zwischen 100 und 1.000 Gäste.

Die am weitesten verbreitete Eheschließungszeremonie ist die Brahmanhochzeit, die aufgrund ihrer Komplexität mindestens zwei Tage dauert. Die Familie der Braut richtet die Feierlichkeiten aus. Dabei sitzen die beteiligten um eine Feuerstelle herum während ein Geistlicher Sanskrit-Mantras rezitiert, die nachgesprochen werden. Rituell übergibt der Vater seine Tochter dem Bräutigam im Zuge der Kanydan-Zeremonie, bei dem er die Hände des Brautpaars über einem Krug zusammenlegt und sie mit einer Blumengirlande und einem roten Tuch umwickelt werden. Sie werden dann mit Gangeswasser gesegnet und es wird um den Beistand Gottes gebeten. Im Anschluss knoten Frauen den Sari der Braut mit dem Schultertuch des Bräutigams zusammen, um die eheliche Verbindung in Form des Knotens darzustellen. In weiteren Zeremonien hängt sich das Brautpaar gegenseitig Blütenketten um den Hals und es wird Feuer entzündet, das für die Gegenwart des Göttlichen steht. Der wichtigste Teil der Hochzeitszeremonien ist das bereits erwähnte Saptapadi, bei dem das Paar 7 Mal um das Feuer herumgeht. Anschließend tupft der Mann der Frau geweihte rote Farbe namens Sindur auf den Kopf und macht ihr auf die Stirn einen Punkt, den sie zukünftig als Zeichen für den Segen einer verheirateten Frau tragen wird. Sie spricht mit Mantren ihre Zustimmung aus, die besagen „du bist mir willkommen“.

Für gewöhnlich nimmt der Mann die Frau binnen drei Tagen mit in sein Haus, wo sie mit einer weiteren Zeremonie empfangen wird. Frauen schmücken das Bett des frisch vermählten Paares für einen romantischen Ehebeginn mit Blumen.

Symbole:

  • Rot gilt als die Glücksbringende Farbe und findet sich daher im Hochzeitssari in verschiedenen Farbtönen von rosa bis braun.
  • „Mehndi“ sind Hennazeichnungen auf den Händen, Knöcheln und Füßen der Braut. Das Verzierungsritual kann bis zu 3 Tage dauern und es gilt: je dünkler, desto mehr wird die Braut von der Schwiegermutter geschätzt. Solange das Henna auf der Haut nicht vollständig verblasst ist, muss die Braut nicht bei der Hausarbeit helfen.
  • „Sangit“ ist das miteinander singen im Rahmen einer Feier, die 2-3 Tage vor der Hochzeit stattfindet. Die Frauen beider Familien lernen sich dabei kennen, später kommen auch männliche Familienmitglieder hinzu.

Tipp: Sollten Sie zu einer indischen Hochzeit geladen sein gilt was die Bekleidung betrifft folgendes: bitte elegant, eher konservativ und nicht in Weiß (Farbe der Witwen), Schwarz (Farbe der Trauer) oder Rot (Farbe der Braut) kleiden.

Info: Polygamie: In Indien ist es offiziell nur muslimischen Männern erlaubt, vier Frauen zu heiraten, alle anderen können dies jedoch auch, wenn die erste Frau nicht dagegen vor Gericht zieht. So kommt es oftmals vor, dass reichere Männer mehrere Frauen haben.

4 Gedanken zu „Das wichtigste Ereignis im Leben der Inder: die Hochzeit

  • 17. Oktober 2019 um 12:00
    Permalink

    Hallo,
    erstmal sehr guter Artikel 🙂
    Ich wollte wissen ob Sie den Autor und das Veröffentlichungsdatum preis geben könnten.
    LG

    Antwort
    • 20. November 2019 um 9:44
      Permalink

      Hallo Lea, danke das freut uns sehr. Wir sind sehr viel auf Reisen und waren unter anderem bei einem Freund zur Hochzeit in Indien eingeladen letztes Jahr. Der Artikel wurde von mir geschrieben. Liebe Grüße, Andy

      Antwort
      • 13. Dezember 2019 um 15:14
        Permalink

        Hallo Andy,
        dürfte ich den Nachnamen und das Veröffentlichungsdatum des Artikels erfahren. Ich würde gerne den Bericht in meiner Seminararbeit zitieren, darf das aber nur wenn ich die oben genannten Informationen vorweisen kann. LG Lea

        Antwort

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

error: